Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 246

 

246
Ernst Wilhelm Nay
Vibration, 1951.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 287.500

(inklusive Aufgeld)
Vibration. 1951.
Öl auf Leinwand.
Scheibler 556. Links unten signiert und datiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert, datiert und betitelt. 85,5 x 105 cm (33,6 x 41,3 in).

• Farbgewaltiges Zeugnis für Nays Auseinandersetzung mit Musik als zentrale Inspirationsquelle dieser Schaffensperiode – er ordnet die vielfältige Verschränkung und Wiederholung nach dem musikalischen Prinzip der Fuge.
• Am Übergang von der Figuration zur Abstraktion.
• Ernst Wilhelm Nays "Fugale Bilder" erweisen sich als Balance zwischen Ordnung und Bewegung.
• Schon im Entstehungsjahr im Haus der Kunst, München, gezeigt
.

PROVENIENZ: Galerie Orangerie-Reinz, Köln.
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen (1986 beim Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Große Kunstausstellung, Haus der Kunst, München, 13.7.-7.10.1951, Kat.-Nr. 782.
50er Jahre, Galerie Orangerie­Reinz, Köln, 30.8.-31.10.1986, Kat.-Nr. 69 (mit Abb., S. 49).
Ernst Wilhelm Nay, Stedelijk Museum, Amsterdam, 30.4.-30.6.1998; Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden, 19.7.-16.8.1998; Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg, 23.8.-11.10.1998, Kat.-Nr. 16 (mit Abb., S. 52).

LITERATUR: Friedrich Weltzien, E. W. Nay - Figur und Körperbild. Kunst und Kunsttheorie der vierziger Jahre, Berlin 2003, S. 277.



Die Gruppe der "Fugalen Bilder" schließt sich direkt an die "Hekate-Bilder" an und entsteht im Vorfeld der "Rhythmischen Bilder". Der Entstehungszeitraum der "Fugalen Bilder" beginnt im August/September 1949 und endet mit dem Wegzug von Hofheim, wo Nay sich nach dem Zweiten Weltkrieg niedergelassen hatte, nach Köln im November 1951. Für Nay ist die Beschäftigung mit abstrakt strukturiertem Flächengewebe nach der ständig zunehmenden Verdichtung der figurativen Bildstrukturen in den "Hekate-Bildern" eine logische Konsequenz. In diese Überlegung ist eingebettet, jenen "Komplex von Urformen in Verbindung mit Rhythmus und Dynamik" so offen zu gestalten, dass sich, so Nay weiter, "dann das eigentlich formale Thema meiner Kunst im Ganzen" entwickeln kann (E. W. Nay, Regesten zu Leben und Werk, in: E. W. Nay 1902-1968. Bilder und Dokumente, Nürnberg und München 1980, S. 62).

Rhythmus und Dynamik
Nays künstlerische Entwicklung ist immer unterlegt von Rhythmus und Dynamik, etwa von den klar gegliederten, die Gegenständlichkeit vereinfachenden "Fischer"- und "Lofoten"-Bildern bis zu den abstrakt strukturierten, aber immer noch den Rest von Figuration bewahrenden "Hekate"-Bildern. Nay ist an einem Punkt angekommen, die inzwischen eingängig gewordenen Formen und Figurationen seiner eigenen ‚Ikonografie' auf ihre Beständigkeit zu überprüfen oder, wie Werner Haftmann, der intime Kenner des Werks und Freund des Künstlers, dies so treffend beschreibt, „die einzelnen farbigen Flächenschichten einmal faktisch auseinanderzulegen, sie als einzelne Qualitäten zu isolieren und durchzuarbeiten und als einzelne selbständige Elemente der räumlichen Planordnung, aber auch als isolierte Farbstimmen eindeutig festzulegen.“ (Werner Haftmann, E. W. Nay, Köln 1991, S. 153).
Unabhängig vom offenkundigen Einfluss musikalischer Empfindung auf Nays Arbeit, vom Künstler schon mit der Namensgebung dieser kurzen Schaffensperiode intendiert, gewinnt ein weiterer Schritt, Farben und Formen absolut zu setzen, an Bedeutung. Es überrascht wohl kaum noch, dass der von Nay eingeschlagene Weg eine stetige Entmaterialisierung, Entbindung vom Gegenständlichen mit sich bringt und damit die Bildsprache fortschreitend und überwiegend abstrakt wird.

Die Fuge rhythmisiert die Malerei
In der Musik wird die Fuge als eine sehr vollkommene und durchgebildete Satzart definiert, mit einem Hauptthema und seiner Bearbeitung durch alle Stimmen. Die melodische Eigenart des Themas soll erhalten bleiben – Gegensätze, kontrapunktische Improvisationen, wie Vergrößerungen, Verkleinerungen oder Umkehrung des Themas bilden Variationsmöglichkeiten, kompositorische Freiheiten der im Prinzip als streng strukturiert geltenden Fuge. Nay nutzt dieses aus der Musik entlehnte kompositorische Prinzip, er ordnet die Farben nach ihrer Klangqualität, thematisiert die Farbe als konkrete Form und suggeriert mit ihr, ähnlich der Wirkung von Musik, Harmonie und Dissonanz.

Dieses Prinzip zugrunde gelegt, sehen wir streng gegliederte Flächengründe, abstrakte ins Ornamentale tendierende Muster, darübergelegt ein verwirrendes Spiel von kubenförmigen Farbformen und Bildzeichen, die in Raumschichtungen mit stark kontrastierenden Farbwerten ein Hin und Her, Vor- und Zurückschwingen evozieren. Der Übergang von den "Hekate"- zu den "Fugalen Bildern" ist fließend, allenfalls lässt sich eine strengere und stringentere Komposition als ein ‚oberflächiges', erstes Unterscheidungsmerkmal anführen. Nay verändert in dem Sinn auch nicht plötzlich sein kompositorisches Prinzip, sondern er variiert oder besser präzisiert etwa die Farbformen, eine ständige Weiterentwicklung, aufbauend auf das Bisherige, und trennt die einzelnen Kompositionselemente strenger voneinander. Mit der Klärung der Form nähert sich die Farbe der Fläche und mit dem daraus resultierenden, ungebrochenen Farbauftrag steigert Nay nochmals den ungewöhnlichen, bisweilen provozierenden Farbakkord.
Eine Entwicklung, die sich weiter fortsetzt in zunehmend ornamental gegliederten Flächen aus ungegenständlichen, aber benennbaren Formen, wie Schleifen, Linien, Punkten. Nays "Fugale Bilder" sind in diesem Stadium keineswegs als informell zu sehen. Seine neu gefundene Bildsprache und Bildentwicklung unterliegen eher einer strengen Koordination und Systematisierung als der informellen Improvisation von autonomen Farbformen. Nays fugale Kompositionen unterliegen der Gesetzmäßigkeit des Ornaments. Nay komponiert die einem unendlichen Rapport folgenden Formen und Farben, gleich dem Komponieren von Tönen, schafft darin ebenso Gegensätze wie thematische Steigerungen, etwa die leichte, stetige Hinführung zum eigentlichen Motiv und dessen abschließende Variation, unterbrochen und ergänzt von bisweilen verfremdender Kadenz, wie hier die pointiert gesetzte Strichelung, die noch beiläufig aber dennoch den Aufbruch in einen neuen malerischen Themenkomplex andeutet. Nay selbst spricht von fugaler Gestaltung, und er ordnet die vielfältigen Verschränkungen mit abgewandelter Wiederholung nach dem musikalischen Prinzip der Fuge. "Die Durchführung des Themas", so Nay, "ergibt eben diese konstruktive Form der Fuge und erzeugt Zwischenspiel, die man Passagen nennen könnte." (E. W. Nay, Regesten zu Leben und Werk, S. 140)

Der von Nay erfundene Farb- und Formenkanon wirkt durch seine strengen Grundakkorde einem Kosmos entlehnt, in dem freischwebende Formen und entsprechende Farben, losgelöst von materieller Gegenständlichkeit und emanzipiert von gegenständlicher Natur, sich ebenso bewegen wie die Töne der Musik, Gedanken und Gefühle. So entstehen mit den "Fugalen Bildern" Analogien zur Musik, Einheit von Farbe, Klang und Gefühl. Das Geschehen zwischen großflächigen Grundformen und den ornamentalen Elementen ist meist sehr bewegt, selten findet sich ausgeglichene Stille, entstehen gedämpfte Bildzonen. Nay spricht wie kaum ein anderer Zeitgenosse den Betrachter über den Klang der Farbe an, provoziert Gefühle, Harmonie oder Dissonanz mit seinen intuitiven Farbkompositionen, die je nach Kälte und Wärme, je nach Klang und Schönheit der Farbeigenschaften ein Gefühl von vollendeter Ausgewogenheit und einnehmender Zuneigung oder ablehnender Haltung und Verunsicherung evozieren können. [MvL]



246
Ernst Wilhelm Nay
Vibration, 1951.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 287.500

(inklusive Aufgeld)